Cheffing: Führen von unten – so geht‘s
Wie führe ich meinen Chef? Cheffing ist eine der ganz großen Herausforderungen im modernen Führungsalltag. Immer mehr Top-Führungskräfte beißen sich daran die Zähne aus. Die Frage ist: Wie nehme ich Einfluss auf meinen Vorgesetzten, auf seine Entscheidungen, auf sein Verhalten, damit Projekte im Unternehmen vorangehen? Und wie bleibe ich dabei authentisch und erreiche ohne Manipulation mein Ziel? In diesem Beitrag lesen Sie,
- was Cheffing genau bedeutet,
- wie Sie von unten führen können,
- wie Cheffing im Top-Management funktioniert und
- wie die Führung von unten in drei einfachen Schritten gelingt.
Was ist Cheffing?
Cheffing ist der Fachbegriff für „Führen von unten“. Das hört sich erst einmal verdreht an, weil wir bei Führung meistens an führen nach unten, also Mitarbeiterführung denken. Doch es gibt auch die Führung nach oben. Beim Cheffing geht es darum, im Sinne eines gemeinsamen (Unternehmens)-Ziels im Positiven auf den Chef einzuwirken. Hierbei wird der Chef beeinflusst, bestimmte Entscheidungen zu treffen oder man möchte bei ihm bestimmte Verhaltensweisen erzielen. Wichtig dabei ist, dass es nicht um die persönlichen Ziele geht, sondern darum bessere Ergebnisse insgesamt im Unternehmen zu erzielen, von denen alle profitieren.
Um es mit den Worten eines Klienten auf den Punkt zu bringen:
„Wasser predigen – Wein trinken, das funktioniert doch heute nicht mehr! Wir müssen Veränderungen nach vorne bringen, der Wandel in die moderne Arbeitswelt und die Digitalisierung steht an, aber mein Chef zieht nicht mit. Wie kann ich den Chef führen? Ihn mit ins Boot holen? Denn wenn er nicht mitmacht, macht die ganze Arbeit hier keinen Sinn.“
Zwei typische Konstellationen von Cheffing
Bei der Führung des Vorgesetzten lassen sich zwei grundsätzliche Konstellationen unterscheiden.
- Der erste Fall zählt eher zum Alltag: Eine Führungskraft muss ihren Chef zu einer Entscheidung veranlassen, um bei der täglichen Arbeit voranzukommen.
- Was gerade in der heutigen Zeit noch viel häufiger vorkommt ist die zweite Konstellation: Sie haben den Auftrag erhalten den „Change“ durchzuführen, oder Sie haben eine Idee oder ein Ziel und benötigen hierfür die Unterstützung des Chefs, sei es der Geschäftsführer, der Vorstand oder manchmal auch der wichtige Kunde.
Wie gehe ich mit starren Hierarchien und Chefs um?
Bei Ihrem Vorhaben stellen Sie fest, dass es mit den starren Hierarchien und Chefs hakt. Gemeint sind damit häufig Chefs in traditionellen Unternehmen, die seit Jahren erfolgreich wirtschaften, doch beim Wandel in die moderne Arbeitswelt nicht mitziehen. Zumindest nicht so, wie Sie sich das wünschen, um die anstehenden Veränderungen nach vorne zu bringen.
Da Sie selbst an diesem Change gemessen werden, stehen Sie also unter Erfolgsdruck, Ihren Chef für den Wandel zu gewinnen. Hier beginnt die eigentliche Kunst des Führens von unten: Wie überzeuge ich meinen Chef, dass er sich ändern muss? Geht das überhaupt? Oder ist das Verhalten eines meiner Klienten unausweichlich? Er äußerte in unserem ersten Termin:
„Ich wurde für Change eingestellt, der leider von einigen Mitarbeitern und Teilen der Geschäftsleitung nicht gewünscht wurde. Da muss ich meine Zeit nicht opfern.“
Er hat das Unternehmen schon nach kurzer Zeit wieder verlassen.
Nehmen Sie Ihren Chef, wie er ist
Immer wieder erlebe ich Führungskräfte, die ihren Chef verändern möchten:
„Der muss doch einsehen, dass …” Nichts muss er! Von niemandem, auch nicht von seinem Mitarbeiter muss ein Chef sich vorschreiben lassen, was zu tun ist.
Die goldene Grundregel lautet daher: Nehmen Sie ihn, wie er ist. Mit dieser Einstellung stehen Ihre Chancen deutlich besser, von ihm zu erhalten, was Sie brauchen.
Kommunizieren Sie mit dem mittleren oder dem Top-Management?
Beim Führen von unten ist ebenfalls bedeutsam, ob Sie als Mitarbeiter auf einen Chef aus dem unteren oder mittleren Management einwirken oder ob Sie als erfahrene Führungskraft des mittleren oder oberen Managements auf Ihren Chef an der Unternehmensspitze einwirken.
Die Vorgehensweise ist in beiden Situationen vollkommen anders, wie wir gleich in einem Praxisbeispiel für das Top Management kennenlernen werden.
Cheffing im Top-Management
Ist Ihr Chef Teil des Top-Managements, zählt weniger die Klarheit Ihrer Argumente als eine geschickte Einflussnahme. Warum das so ist und was ich damit konkret meine, will ich Ihnen zunächst an einem Praxisbeispiel verdeutlichen.
Ein Praxisbeispiel: Das Projekt vor dem Aus!
Mein Klient ist Herr S., Prokurist in einem internationalen Konzern. Er befürchtete, dass auf einer Vorstandssitzung mit dem «Big Boss» und weiteren zehn Personen eine Entscheidung gegen „sein“ Projekt gefällt werden würde. Dieses Aus hätte sich nicht nur negativ auf seine berufliche Entwicklung ausgewirkt. Auch seine „Change-Idee“ – zukunftsweisend für das Unternehmen – hätte auf dem Spiel gestanden.
„Wie kann ich das Gespräch und meinen Vortrag so lenken, dass die Entscheidung in meinem Sinne fällt?“, lautete seine Frage im Führungskräfte-Coaching.
Herr S. plante fachliche Argumente und Informationen für sein Projekt zusammenzutragen. Ich erklärte ihm, dass auf der obersten Ebene andere Spielregeln herrschen, als er es aus dem mittleren Management gewohnt war. Anstatt weiter nach fachlichen Argumenten zu suchen, machten wir uns nun Gedanken über die Konstellation der Vorstandsmitglieder. Chefs führt man auf der obersten Ebene anders.
Allianzen und Feindschaften
Mein Klient hatte folgendes beobachtet: Während der stark werteorientierte Vorstandsvorsitzende ein Mann der wenigen Worte war, herrschte unter den übrigen Herren des Vorstands ein Hahnenkampf um die Aufmerksamkeit.
Wir entwickelten eine Strategie: Herr S. sollte sich keinesfalls auf diesen verbalen Wettstreit einlassen, sondern anderweitig die Aufmerksamkeit des Vorstandsvorsitzenden gewinnen. Ich bat ihn ein Bild zu zeichnen, dass die Beziehung der Vorstandsmitglieder, ihre Allianzen und Feindschaften, völlig unabhängig von ihrer hierarchischen Position, darstellte. Der Vorstandschef schätzte demnach vor allem zwei Führungskräfte: den einen für sein Netzwerk und den anderen für seine große Erfahrung.
Verbündete gewinnen
Genau zu diesen beiden Vorständen sollte mein Klient eine Beziehung aufbauen, um sie als Verbündete zu gewinnen, nach dem Prinzip: „Gib ihnen, was sie brauchen – und du bekommst, was du selber willst.“
Er sollte seine Argumente zudem so aufbereiten, dass sie der wertebasierten Philosophie des Vorstandsvorsitzenden entsprachen. In seinem Vortrag baute er also ganz bewusst die Stärken dieser beiden Vorstände mit ein und suchte im richtigen Augenblick ihren Blickkontakt.
Zudem unterstrich er die Bedeutung der Mitarbeiterpotenziale für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens – das hatte zwar nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun, entsprach aber den Wertvorstellungen des Vorsitzenden.
Herr S. versuchte erst gar nicht mit fachlichen Argumenten das Projekt bzw. seine Change-Idee zu verteidigen, sondern er griff die Philosophie des Vorsitzenden auf und hatte genau damit Erfolg – der Vorstand fällte die Entscheidung für das Projekt.
Komplexe Beziehungsgefüge im Top-Management
In diesem Fall wird sehr deutlich, wie wenig es im traditionellen Top-Management auf Inhalte ankommt, wie wichtig allerdings die emotionalen Beziehungen der Handelnden untereinander sind. Um den Chef zu führen – also Cheffing zu betreiben – ist Herr S. mit einem komplexen Beziehungsgefüge konfrontiert, das einem Ökosystem ähnelt. Die Natur ist für viele Situationen, die wir im Führungskräftealltag erleben, ein geniales Vorbild. Um eine Strategie zu entwickeln, ist es manchmal leichter, sich Prozesse und Beispiele in der Natur anzuschauen, deren Wirkprinzipien zu verstehen und diese dann auf die konkrete Situation zu übertragen.
Für „Führen von unten“ – insbesondere im Top-Management – brauchen wir ein Vorbild, wo es auch um ein komplexes Beziehungsgefüge geht. Wo finden wir für diese Situation einen etwaigen Lösungsansatz in der Natur?
Vorbild Natur: Das Öko-System am Waldrand
Die vielfältigen Quer-Beziehungen und Netzwerke in den Führungsetagen gleichen häufig einem Öko-System. Anhand dieses Vorbildes können wir im nächsten Schritt versuchen dieses System zu begreifen oder gar zu beeinflussen. Von diesem Vorbild können wir das vernetzte Denken lernen, das auf dieser Ebene entscheidend ist. Denn die vielfältigen Beziehungen und Rückkopplungen lassen sich durch lineare Kausalitäten nicht beschreiben.
Schauen Sie sich einen Waldrand an: Ein typisches Ökosystem, in dem zahlreiche Pflanzen und Tiere auf vielfältige Weise zu einem komplexen Ganzen verbunden sind.
Das komplexe Zusammenspiel verstehen
Die Besonderheit des Öko-Systems liegt darin, dass es sich selbst regelt und steuert. Grundlage für diese Selbststeuerung sind ausgewogene Interferenzbeziehungen, ein ausgeprägtes Anpassungsvermögen von Einzelorganismen, Populationen und Lebensgemeinschaften sowie der Ringschluss von Produzenten, Konsumenten und Reduzenten im biologischen Stoffkreislauf. Dank seiner engen Vernetzung ist dieses System aus Querbeziehungen, Nahrungsketten und Informationsübertragungen auch sehr stabil. Um den Vorteil eines Öko-Systems nutzen zu können, muss man dieses komplexe Zusammenspiel erkennen und verstehen.
Schlussfolgerung für das Cheffing: Spielen Sie über Bande!
Für das Cheffing bzw. die Führung von unten lässt sich eine bemerkenswerte Schlussfolgerung ziehen: Da alles miteinander zusammenhängt, lässt sich das System über unterschiedliche Ansatzpunkte beeinflussen und in eine gewünschte Richtung lenken.
Um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, ist es daher nicht notwendig und auch nicht immer sinnvoll, direkt auf die Zielgrößen einzuwirken. Stattdessen kann man – wie beim Billard mit der weißen Kugel – auch „über die Bande spielen“ und indirekt steuern. Beim Praxisbeispiel von Herrn S. haben Sie gesehen, wie das gelingen kann.
Schritt-für-Schritt-Anleitung: Worauf Sie bei der Führung von unten achten müssen
Abschließend möchte ich noch einmal konkret werden – und Ihnen eine konkrete Anleitung zum Cheffing – der Führung von unten – an die Hand geben. Wie führe ich meinen Chef, um wichtige Entscheidungen zu erhalten oder ein bestimmtes Verhalten zu fördern? Welche entscheidenden Punkte gilt es zu beachten und wo lauern die größten Stolperfallen?
- Zielklärung: „Was möchte ich genau”?
Bevor Sie ein Anliegen gegenüber einem Chef vorbringen, lautet die erste Frage immer: „Was möchte ich genau?“ - Situation beider berücksichtigen
Im nächsten Schritt beziehen Sie die Situation des anderen mit ein. Versuchen Sie sich in Ihr Gegenüber zu versetzen: Was ist sein Bedürfnis? Bringen Sie in der Kommunikation mit dem Geschäftsführer oder Vorstands aufrichtige Wertschätzung und Wohlwollen zum Ausdruck. - Hierarchieunterschied beachten
Bei dieser „Empathie“ achten Sie bitte auch auf den Hierarchieunterschied. Schaffen Sie Vertrauen, aber gehen Sie (vorerst) nicht auf gleiche Augenhöhe! Sie werden feststellen: Sobald der Vorgesetzte nicht mehr das Gefühl hat, um seine „Anerkennung” ständig kämpfen zu müssen, wird sich seine Einstellung zu Ihnen ändern…
Achtung: Ich verstehe, dass Sie innerlich die Augen rollen. Sie wollen doch Kommunikation auf Augenhöhe. Sie wollen doch mit allen im Unternehmen im Sinne der modernen Arbeitswelt umgehen. Das ist allzu verständlich. Dies ist auch das – langfristige – Ziel.
Aber: Im Umgang mit einem Vorgesetzten gilt immer – holen Sie ihn da ab wo er steht, und nicht da, wo er hinsoll.
Cheffing: eine der größten Führungsherausforderungen unserer Zeit
Cheffing bzw. Führung von unten war schon immer bedeutsam. Doch gerade in Zeiten des Wandels, in denen wir auf dem Weg vom traditionellen Unternehmen zur neuen und modernen Arbeitswelt sind, ist es – meiner Erfahrung nach – eine der größten Führungsherausforderungen in Unternehmen überhaupt. In diesem Blogbeitrag haben Sie erfahren, was Cheffing überhaupt bedeutet. An einem konkreten Praxisbeispiel haben Sie erlebt, wie Herr S. seinen Vorstands-Chef von seinem Projekt, bzw. seiner „Change-Idee“ überzeugen konnte. Sie haben anhand eines Beispiels aus der Natur erfahren, wie Sie vernetztes Denken lernen und zu guter Letzt haben Sie eine konkrete Anleitung erhalten, wie Sie Ihren Chef von Ihrer nächsten Idee überzeugen können.
Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Experimentieren.
Denken Sie daran: Wandel geschieht nicht von heute auf morgen oder auf Knopfdruck. Sie werden in Ihrem Chef einen echten Fan gewinnen, wenn Sie es schaffen, dass er von Ihnen und Ihren Vorhaben überzeugt ist und er Sie wirksam unterstützen kann.
Sie hören lieber?
Cheffing ist ein großes und umfangreiches Thema:
Hören Sie in 4 Podcast-Folgen, wie wir aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema blicken…
Cheffing: Wie Sie Ihren Chef so führen, dass er tut, was SIE wollen | RAUS AUS DEM HAMSTERRAD #17
Herzliche Grüße
Gudrun Happich
PS: Sie möchten Ihren Chef zu einer Entscheidung veranlassen oder sich dessen Unterstützung sichern – in der Praxis will es Ihnen aber einfach nicht gelingen? Kontaktieren Sie mich und wir finden gemeinsam eine Lösung!
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