Assessment Center: Was Führungskräfte und Unternehmen wissen sollten

Transformation
Assessment Center Führungskräfte

Unternehmen wünschen sich von Assessment Centern den perfekten Kandidaten, der die Firma so richtig voranbringt, womöglich auch durch schwierige Transformationen führt. Top-Führungskräfte wiederum hoffen, dass ihre individuellen Stärken und ihr Mehrwert für das Wunschunternehmen im Rahmen des Auswahlverfahrens erkannt wird. Was ich nach meiner eigenen Arbeit im Top-Management und nach über 30 Jahren Erfahrung im Führungskräfte-Coaching sagen kann: Beide Vorstellungen gehen allzu oft an der Realität vorbei. Denn die Diagnostik-Center haben – auch wenn sie durchaus sinnvoll eingesetzt werden können – eklatante Schwächen.

In diesem Beitrag werfe ich einen ungeschönten Blick auf das Thema Assessment für Führungskräfte.

Inhaltsverzeichnis

  1. Die Idee hinter einem Assessment für Führungskräfte
  2. Die grundlegende Schwäche der Diagnostik-Center
    2.1. Fallbeispiel: Wie der optimale Kandidat durch das Assessment fiel
  3. Recruiting: Für welche Führungskräfte Assessment Center (nicht) geeignet sind
    3.1. Fühlen Sie Ihrem Assessment Center auf den Zahn
  4. Für Führungskräfte: Eine Vorbereitung auf das Auswahlverfahren ist immer sinnvoll

Die Idee hinter einem Assessment für Führungskräfte

Egal, ob Assessment Center unternehmensintern oder durch einen externen Dienstleister durchgeführt werden: Ziel ist es immer, die Eignung eines Kandidaten für eine bestimmte Position einschätzen zu können – und aus einer Gruppe möglicher Bewerber den optimalen Kandidaten zu finden. In den letzten Jahrzehnten haben sich dafür gewisse Methoden etabliert, die fast überall angewandt werden. Insbesondere bei der Besetzung von Leitungspositionen sind mehrtägige Auswahlverfahren üblich.

Neben dem Begriff „Assessment Center“ haben sich für das Auswahlverfahren noch weitere Namen eingebürgert. Zum Beispiel „Diagnostik-Center“ oder „Bewerbertag“.

Die grundlegende Schwäche der Diagnostik-Center

So viel vorweg: Ich bin nicht grundsätzlich gegen den Einsatz von Assessment-Centern. In vielen Fällen haben die Auswahlverfahren durchaus ihre Berechtigung. Gerade für die Besetzung von Stellen im C-Level und Top-Management sehe ich die Center aber sehr kritisch. Der Grund: Bewerber durchlaufen hier in aller Regel ein Standardverfahren. Standardverfahren bedeutet: Es gibt eine standardisierte Auswertung. Abhängig von ihren Antworten sind die Kandidaten also Typ A, Typ B, Typ C etc. Am Ende gibt das Assessment Center dann eine Einschätzung darüber ab, ob der jeweilige Kandidat für die Position grundsätzlich geeignet ist. Und genau hier liegt das Problem. Diese GRUNDSÄTZLICHE Eignung sagt nichts über die SPEZIFISCHE Eignung für die jeweilige Position im Unternehmen. Denn jedes Unternehmen ist anders – z.B. hinsichtlich Führungskultur, Unternehmensstrukturen und Machtgefügen.

Und damit hat auch jede C-Level-Stelle abhängig vom jeweiligen Unternehmen ganz andere Anforderungen. Für dieselbe Jobbeschreibung könnten in zwei unterschiedlichen Unternehmen ganz verschiedene Führungspersönlichkeiten gefordert sein. Viele Assessment Center, die von externen Dienstleistern geleitet werden, tragen diesem Umstand viel zu wenig Rechnung.

Fallbeispiel: Wie der optimale Kandidat durch das Assessment fiel

Im Laufe meiner 30-jährigen Arbeit als Sparringspartner und Führungskräfte-Coach für C-Level, Geschäftsführer, Vorstände und Vorstandsvorsitzende sind mir etliche zweifelhafte Eignungseinschätzungen von Assessment Centern über den Weg gelaufen – darunter so manche glasklare Fehleinschätzung.

Spontan kommt mir hier Christian Z. in den Sinn. Dieser sollte die Nachfolge des Institutsleiters antreten. Mit seiner Persönlichkeit, seiner Präsentation und seinem Plan für das Unternehmen hatte er längst alle Entscheider auf seine Seite gezogen. Damit war Christian der eindeutige Favorit für den Posten. Umso schockierender fiel für alle die Einschätzung des Diagnostik-Centers aus: „Christian ist für die Stelle nicht dominant genug. Es fehlt ihm an Durchsetzungsvermögen. Wir empfehlen ihn NICHT für die Institutsleitung.

Was war passiert? Christian entsprach mit seiner introvertierten, konsequenten, aber leisen Art offensichtlich nicht dem standardisierten Persönlichkeitsprofil eines Institutsleiters. Da er sich im simulierten Konfliktgespräch nicht laut genug auf der Brust herumtrommelte, fiel er für die Prüfer durchs Raster.

Zum Glück für Christian und sein Unternehmen folgten die Entscheider der Empfehlung des Assessment Centers nicht. Denn Christians Art, die Mitarbeiter auf die anstehende Reise mitzunehmen und das Institut so auf einen zukunftsträchtigen Weg zu führen, passte einfach hervorragend zum Unternehmen.

Recruiting: Für welche Führungskräfte Assessment Center (nicht) geeignet sind

So wie Christian ergeht es vielen Könnern und Leistungsträgern, die mit ihrer ruhigen, wertschätzenden und zielorientierten Art für Unternehmen ein echter Gewinn sind – aber nicht dem Bild des dominanten, durchsetzungsstarken Top-Managers entsprechen. Dabei sind es gerade diese Persönlichkeiten, die in der Lage sind, die ganze Belegschaft bei anstehenden Transformationen mit an Bord zu holen – und das Unternehmen als Ganzes voranzubringen. Mein Rat an alle Entscheider lautet daher: Vertrauen Sie für die Besetzung von Positionen im C-Level und Vorstand auf Ihr eigenes Urteilsvermögen! Das ist nur konsequent. Immerhin haben Sie höchstwahrscheinlich viel Zeit investiert, um das Profil des neuen COO, CIO oder CEO anzufertigen. Da sollte auch genug Zeit bleiben, den Kandidaten im eigenen Netzwerk oder via Headhunter zu suchen.

Fühlen Sie Ihrem Assessment Center auf den Zahn

Ich möchte Assessment Center nicht pauschal verurteilen. Im Gegenteil. In vielerlei Hinsicht braucht es die Auswahlverfahren. Standardisierte Rekrutierungsprozesse eignen sich allerdings in erster Linie für größere Unternehmen – insbesondere Konzerne –, die jedes Jahr eine große Anzahl an qualifizierten Fachkräften oder Führungskräften im unteren bis mittleren Management brauchen.

Nutzen Sie die Diagnostik-Center, sollten Sie deren Prozessen allerdings auf den Zahn fühlen. Diese sollten sich Zeit für ihre Kandidaten nehmen. Und sicherstellen, dass Kandidat UND Unternehmen zusammenpassen.

Für Führungskräfte: Eine Vorbereitung auf das Auswahlverfahren ist immer sinnvoll

In den meisten Branchen sind Assessment-Center für Führungskräfte berüchtigt – und sorgen bei Kandidaten schon Wochen vorher für Nervenflattern. Das liegt nicht allein an dem möglichen Ergebnis, das im schlimmsten Fall Karriereträume vorzeitig beendet. Sondern auch daran, dass das Auswahlverfahren selbst mitunter Stress pur bedeutet. Sollte Ihr Wunschunternehmen auf das Assessment bestehen, müssen Sie da leider durch.

Ich will nicht lügen: Sie müssen sich darauf einstellen, während des Testverfahrens ein gutes Stück aus Ihrer Komfortzone treten zu müssen. So mancher Test zielt darauf ab, Sie gezielt unter Druck zu setzen. Denn genau das ist es doch, was Unternehmen von Top-Managern wissen wollen: Wie sie mit Stress und unangenehmen Situationen umgehen können.

Die gute Nachricht: Die eklatante Schwäche von externen Assessment-Centern – die Fokussierung auf standardisierte Verfahren – können Sie sich zunutze machen. Da die Auswahlverfahren für Führungskräfte überall mehr oder weniger gleich ablaufen, können (und sollten!) Sie sich gezielt auf häufig gestellte Aufgaben vorbereiten. Dazu finden Sie eine regelrechte Flut an Büchern, Blogartikeln und Artikeln, die die klassischen Persönlichkeitstests und vielfach angewendeten Rollenspiele beleuchten. Von einer Klientin sind mir kürzlich die folgenden beiden Bücher empfohlen worden:

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Vorbereitung!

Herzliche Grüße

Gudrun Happich

Gudrun Happich

PS: Sie möchten – auch abseits vom reinen Auswahlverfahren – den besten Eindruck bei Ihrem Wunschunternehmen machen? Dann kontaktieren Sie mich unter info@galileo-institut.de. Gemeinsam bereiten wir Sie auf die anstehenden Vorstellungsgespräche vor.

Bildquelle: Studio Romantic / stock.adobe.com

Schlagwörter: Assessment CenterAuswahlverfahrenBewerbertagBewerbungsprozessDiagnostik-Center

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