Die Leistungsträger
In über 20.000 Stunden Führungskräfte-Coaching habe ich festgestellt, dass es im Wesentlichen drei Persönlichkeitstypen an der Spitze von Unternehmen gibt: Den Windmacher, den Politiker – und den Leistungsträger. Im letzten Beitrag aus der Reihe „Live aus dem Führungskräftecoaching“ habe ich Ihnen die Windmacher und die Politiker vorgestellt.
Bevor ich Ihnen die Leistungsträger näher beschreibe, vorab nochmals der Hinweis: Persönlichkeits-Modelle können natürlich niemals die individuellen Eigenschaften eines Menschen erfassen, dazu braucht es eine tiefergehende Analyse. Eine Orientierung geben sie aber doch und sie treffen dabei erstaunlich häufig den Kern.
Wie ist er also, der Prototyp des Leistungsträgers? Dass ich als Executive-Coach mit diesem Führungstyp besonders häufig zu tun habe, verrät schon einiges über ihn! Der Leistungsträger ist selbstkritisch und bereit an sich zu arbeiten und sich zu entwickeln – ein Charakteristikum, das ihn sehr deutlich von den oft selbstverliebten Politikern und Windmachern unterscheidet.
Wie der Name schon sagt, ist dieser Persönlichkeitstyp besonders engagiert, leistungsorientiert und verantwortungsbewusst. Während Windmacher und Politiker beim Business-Essen Konversation betreiben, raucht dem Leistungsträger der Kopf, weil er Lösungen sucht und findet, die das Unternehmen weiterbringen. Im Grunde sind die Leistungsträger, die in der Personalstruktur von Unternehmen etwa 2-5 % ausmachen, die Säulen des Unternehmens.Trotzdem sind sie selten die Stars, ihre harte Arbeit wird nicht wahrgenommen und honoriert, im Executive-Coaching höre ich von ihnen oft den Satz: Bin ich eigentlich der Depp vom Dienst?
Warum ist das so?
Der Leistungsträger hat hohe Ansprüche an sich und auch an andere. Sein starkes Leistungsstreben richtet sich vor allem an sich selbst, das heißt er will immer besser werden. Er ist tatkräftig, vielseitig, loyal und ausdauernd. Ein echter Hands-on-Typ. Er kann mit flachen Hierarchien umgehen, ja, er fördert sie sogar und pflegt echte, partnerschaftliche Beziehungen. Eigentlich bringt er alles mit, was die geborene Führungskraft braucht.
Aber: Der Leistungsträger hat auch Schwächen, die ihm immer wieder wie Steine vor die Füße rollen.
Sein Anspruch immer noch besser zu werden und die oft dahinter verborgene Angst trotz allem nicht zu genügen, können zu einer permanenten Unzufriedenheit, zur Überanstrengung und zum Ausbrennen führen. Er neigt dazu sich zu verbeißen, sich nicht mehr entspannen zu können und so den nötigen Überblick zu verlieren. Und: Im Gegensatz zu den anderen beiden Persönlichkeitstypen ist der Leistungsträger kein Blender, der auf den ersten Blick mitreißt. Er kommt in seiner Konzentriertheit manchmal distanziert und kühl, sehr sachlich und fast ein wenig spröde bei seinen Mitmenschen an. Er ackert für zwei und macht Dinge möglich, bei denen andere schon längst das Handtuch geworfen haben. Die Anerkennung, die er sich so sehr wünscht, ist meist gekoppelt mit weiteren Zusatzaufgaben. So kommt der Leistungsträger dann schnell mal zu dem Punkt: Lohnt sich Leistung noch? Bin ich nicht eigentlich der Depp vom Dienst? Frustration und schließlich ein starkes Ohnmachtsgefühl können die Folge sein. So sehr der Leistungsträger für sein Unternehmen kämpfen kann – für sich selbst einzutreten, sich selbst Gehör zu schaffen, das gelingt ihm häufig nicht.
Wie viele andere Experten bin ich dennoch überzeugt, dass sich die Leistungsträger künftig in den Führungsetagen durchsetzen werden. Denn sie haben alle Eigenschaften, die eine moderne Führungspersönlichkeit braucht.
Sie müssen dazu allerdings aktiv werden und Strategien entwickeln, die aus der Ohnmacht herausführen. In den nächsten Beiträgen der Reihe „Live aus dem Führungskräftecoaching“ stelle ich Ihnen zunächst einige Praxis-Beispiele vor, wie das garantiert NICHT funktioniert…
Herzliche Grüße
Gudrun Happich